Kurzgeschichten

Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10.3 haben im Rahmen des Deutschunterricht Kurzgeschichten verfasst. Dabei standen neben typischen Merkmalen der Kurzgeschichte der bewusste Einsatz von Techniken des Erzählens (Erzählform, Erzählperspektive, Erzählverhalten, Erzählerstandort und die zeitliche Gestaltung) im Mittelpunkt. Die Texte von Merle und Laura stachen dabei besonders hervor.

Der Wind pfiff durch die zerborstenen Fenster und tanzte mit seinen zerzausten Haaren. Er blinzelte. Einmal. Zweimal. Ein drittes Mal. Luft stob durch seine viel zu dünne Kleidung und ließ ihn frösteln. Ein Räuspern drang aus der linken Ecke hinter ihm an sein Ohr. Binnen Sekunden rannte er in die entgegengesetzte Ecke und kauerte sich zusammen. Mit argwöhnisch zusammengekniffenen Augen sah er langsam in Richtung des Geräusches. Braune, gefütterte Schuhe, eine schwarze, warm aussehende Hose und ein dunkelgrüner Pullover, die beste Kleidung für den immer näherkommenden Winter. Im Vergleich mussten seine Shorts und das viel zu große, dünne Hemd, wie nichts aussehen, dachte er. Von den Schuhen ganz zu schweigen. Nun traute er sich auch in das Gesicht des Fremden zu gucken. Dunkles Haar, welches von den ersten sanften Strahlen der Herbstsonne in einen schönen Glanz getaucht wurde, braune Augen, welche stark an die eines Rehs erinnerten, und ein gesunder Hautton. „Wer bist du?“ Die Frage des Fremden ließ ihn zusammenzucken. „Wieso sollte ich dir das sagen?“, fragte er misstrauisch. „Ich bin Jäger. Mir gehört diese Hütte.“ Erst jetzt fiel dem Jungen das Jagdgewehr auf, welches an der Wand lehnte. Außerdem dachte er sich, dass diese Hütte, auch wenn sie halb zerfallen war, jemanden gehören musste.  „Ole…Ich heiße Ole.“ „Und was machst du hier? Machen sich deine Eltern keine Sorgen?“ Er zuckte mit den Schultern: „Ich habe keine Eltern.“ „Also eine Waise. Bist du abgehauen? Deshalb der Beutel mit den Lebensmitteln?“ Er hatte ihn also doch entdeckt. Er zögerte: „Ich will nicht zurück. Da waren alle gemein.“ „Aber du bist noch nicht alt genug, um allein zu leben.“ Er kauerte sich stärker zusammen: „Aber ich bin doch schon acht Jahre alt. Kann man nicht eine Ausnahme machen?“ Der Fremde schmunzelte: „Wie wäre es damit. Ich habe ein paar Kilometer entfernt eine weitere Hütte, welche nicht so zerfallen ist wie diese. Du kannst mitkommen und ich gebe dir Kleidung, sowie etwas zu essen und währenddessen reden wir über alles Weitere.“ Ole guckte zur Seite. Nach einem Moment setzte er sich auf und überbrückte die kurze Distanz, welche zwischen ihnen lag. „Mein Name ist übrigens Jasper.“ Mit diesen Worten streckte ihm der nun nicht mehr komplett fremde Mann die Hand hin, welche er nach kurzem Zögern ergriff. Vielleicht wird ja doch noch alles gut, dachte Ole, als er an der großen, rauen Hand von Jasper die Hütte in der Morgendämmerung verließ, und noch einmal einen letzten Blick auf das zerfallene Haus im Wald warf, bevor er seinen Blick nach vorne wandte.   

Merle T., 10.3

Wie heißen die weißen Quadrate? 

Ich wache wie immer lang vor Therapiebeginn auf. Selbst nachdem ich mich fertig gemacht und aufgefrischt habe, sind es noch immer etwa eineinhalb Stunden Zeit. Ich suche nach einer Möglichkeit die Zeit totzuschlagen. Dabei fällt mir mein Schreibblock in die Augen. Ich habe schon lange nicht mehr geschrieben. Wann zuletzt? 1922? Das ist schon fünf Jahre her. Ich war 17 und es war meine erste Woche hier. Es sind die Medikamente, die mir die Lust nehmen, glaube ich. Meine Behandlung zeigt Fortschritte, meinen die Ärzte. Schon bald werde ich nach Hause gehen können. Dann muss ich keine Medikamente mehr nehmen, dann kann ich wieder schreiben. Ich nehme das ledergebundene Büchlein und schlage es auf. Lese die Gedichte aus meiner Schulzeit. Ich schrieb viel über ein Mädchen aus meiner Klasse, Emma ihr Name. Ich schrieb von ihren langen blonden Locken und ihren hübschen, smaragdgrünen Augen, in denen ich mich häufig verlor. Sie war wunderschön. Viele Jungen waren in sie verknallt, ich auch, schätze ich.  Beim Lesen der Seiten vergeht die Zeit scheinbar schneller, denn schon bald höre ich eine Schwester sagen: „Sarah, es ist Zeit.“ Die Schwester begleitet mich zum Behandlungsraum, wo mir die weißen Quadrate an die Schläfen geklebt werden. Ich weiß nicht, wie sie heißen und will jetzt auch nicht fragen. Ich werde bei meiner letzten Sitzung fragen. Ich setze mich auf den Stuhl und lasse die Prozedur über mich ergehen. Es tut weh, doch man gewöhnt sich dran. Plötzlich muss ich wieder an Emma denken. Ich frage mich, wie es ihr geht, was sie wohl macht? Hat sie einen Ehemann? Hat sie Kinder? Ist sie glücklich? Tränen rollen über meine Wangen. Das ist mir seit Jahren nicht mehr passiert. Ich möchte nach Hause. Ich möchte weit weg von hier.  Ich möchte zu Emma. Die Sitzung endet endlich. „Ich habe eine Frage“, beginne ich, „wie heißen die weißen Quadrate?“ 

Laura K., 10.3