Unser Deutsch-Leistungskurs des 12. Jahrgangs unternahm am 27. August 2020 einen literarischen Stadtspaziergang entlang der Schauplätze der Berliner Romantik. Geleitet wurden wir von Michael Bienert, einem renommierten Literaturwissenschaftler, Stadthistoriker und Publizisten.
Wir begannen unsere Stadtführung um elf Uhr morgens auf dem wenig romantischen Dorothea-Schlegel-Platz, direkt vor dem S-Bahnhof Friedrichstraße. Dorothea Schlegel war eine für ihre Zeit emanzipierte Autorin und Übersetzerin. Michael Bienert las auf dem windigen Bahnhofsvorplatz aus dem für die damalige Zeit skandalösen Roman „Lucinde“, in dem Friedrich Schlegel die erotische Anziehungskraft seiner Frau Dorothea sehr anschaulich beschreibt.
Von dort aus flanierten wir zum Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, der zentralen Bibliothek der Humboldt-Universität. Nachdem uns Herr Bienert auf die interessante Architektur aufmerksam gemacht hatte, ging er auch auf die Gebrüder Grimm, die Namensgeber der Bibliothek, ein. Das bekannteste Werk der Gebrüder Grimm, nämlich ihre umfangreiche Märchensammlung, kennt jedes Kind. Dass Wilhelm und Jakob Grimm jedoch auch die Begründer des ersten deutschen Wörterbuchs sind, war neu für uns.
Bald darauf fanden wir uns am Heinrich-Heine-Denkmal in der unmittelbaren Nachbarschaft zur Humboldt-Universität wieder. Heinrich Heine, der sich selbst als „entlaufener Romantiker“ verstand, gilt bis heute als einer der scharfzüngigsten Kritiker dieser Epoche. Heines Kritik an der Romantik illustrierte Michael Bienert mit einer längeren Passage aus dessen Abhandlung „Die Romantische Schule“, die vornehmlich an ein französisches Publikum gerichtet war.
Im Anschluss führte uns Herr Bienert zum August-Bebel-Platz, wo am 10. Mai 1933 die von den Nationalsozialisten initiierte Bücherverbrennung stattfand. Heinrich Heine war einer der Autoren, dessen Bücher in Flammen aufgingen. Ein Mahnmal, bestehend aus einem unterirdischen Raum mit weißen leeren Bücherregalen, erinnert an dieses schaurige Ereignis.
Danach liefen wir zum Ort des ersten literarischen Salons der Schriftstellerin Rahel Varnhagen von Ense in der Jägerstraße. Hier gab sie Soireen, die dem kulturellen Austausch des gebildeten Bürgertums und des Adels dienten. Zu ihren berühmten Gästen zählten u.a. auch der Namenspatron unseres Gymnasiums sowie dessen Bruder.
Wir überquerten den Gendarmenmarkt und ließen uns auf der großen Freitreppe des früheren Königlichen Schauspielhauses, dem heutigen Konzerthaus Berlin, nieder. Dort befindet sich auch das imposante Friedrich-Schiller-Denkmal. Da wir uns im vergangenen Semester diesem Autor der Weimarer Klassik ausführlich gewidmet hatten, gab uns Herr Bienert noch ein paar interessante Einblicke in Schillers kurzen Aufenthalt in Berlin und beleuchtete auch seinen Einfluss auf die Romantiker.
In unmittelbarer Nähe zum Konzert-haus Berlin, schräg gegenüber seiner ehemaligen Wohnstätte im Eckhaus Taubenstraße/ Charlottenstraße, steht ein wenig verborgen die Statue eines berühmten Schriftstellers der Romantik: Ernst Theodor Amadeus Hoffmann.
Herr Bienert beendete unseren literarischen Stadtspaziergang mit E.T.A. Hoffmanns Augenzeugenbericht vom Brand des Berliner Schauspielhauses am 29. Juli 1817, bei dem der gesamte Kostümfundus zerstört wurde und Tausende Perücken in der heißen Berliner Luft tanzten…
Obwohl vielleicht die eine oder andere der vorgelesenen Passagen recht umfänglich war und wir Köpenicker uns im urbanen Lärm der S- und Straßenbahnen, der quietschenden Entladerampen, dröhnenden Megafone und donnernden Presslufthämmer sehr konzentrieren mussten, empfanden wir den zweistündigen Ausflug in die Zeit um 1800 als gelungen. Unter der freundlichen und äußerst kompetenten Leitung Herrn Bienerts wurde die Romantik für uns lebendig und anschaulich.
Text: Deutsch LK, Jg. 12 Fotos: Mathilda Pankow und Michael Bienert (zur Veröffentlichung freigegeben)
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