Ein Theatererlebnis in Zeiten der Pandemie

„Ach!“, seufzt Königin Elisabeth, kurz bevor der Vorhang fällt. Ironisch und humorvoll greift die Inszenierung des Deutschen Theaters den Klassiker Friedrich Schillers vom Streit zweier Königinnen auf und haucht ihm neues Leben ein. 

Bekanntlich handelt die Tragödie vom Streit zwischen Königin Elisabeth I. von England und der schottischen Königin Maria Stuart. Die schottische Königin Maria Stuart flieht als Schutzsuchende nach England und wird dort beschuldigt, Elisabeth den Thron streitig zu machen und Attentate gegen sie zu planen. Statt der Cousine Asyl zu gewähren, lässt Elisabeth sie einsperren. Mit allen Mitteln versucht Maria Stuart, das drohende Urteil einer Exekution abzuwenden. Nach einem unheilvollen Treffen zwischen Elisabeth und Maria ist jedoch endgültig die Chance einer Begnadigung vertan und Maria Stuart wird hingerichtet.  

Anne Lenks neueste Inszenierung des Dramas „Maria Stuart” hatte am 30. Oktober 2020 am Deutschen Theater Premiere, kurz bevor der Spielbetrieb eingestellt werden musste. Dass unser Leistungskurs Deutsch das Stück trotzdem sehen konnte, verdanken wir dem Angebot eines digitalen „Klassenzimmertickets“, mit dem wir uns die Aufführung per Stream einfach in den Raum 106 unseres Gymnasiums sowie die privaten Wohnzimmer holen konnten.

Deutsches Theater Berlin - Maria Stuart Bonusmaterial
(Bildquelle: https://www.deutschestheater.de/digital/maria-stuart-bonusmaterial/letzter Zugriff am 22.05.2021) 

Die Inszenierung besticht besonders durch das Bühnenbild von Judith Oswald. Es besteht aus einer Art Setzkasten in neonpink, welcher durch LEDs in den Zwischenwänden beleuchtet wird. Je nach Szene und gewünschter Wirkung werden diese unterschiedlich angesteuert und zeigen den Szenenwechsel mit passender Musik an. Jeder Charakter sitzt vollkommen isoliert in seinen eigenen Kasten. Durch die unterschiedlichen Höhen und Größen werden unter anderem die Hierarchien zwischen den Figuren gut dargestellt. Auf der Website des DT konnten wir erfahren, dass die neonpinke Farbe wie ein „Green Screen” für die Kostüme der Schauspieler und Schauspielerinnen funktioniert. Es werden nur wenige Requisiten genutzt, sodass die Figuren im Mittelpunkt der Handlung stehen. Diese moderne und freie Darstellung spricht insbesondere ein jüngeres Publikum an.  

Auch Kostüme und Masken sind nicht willkürlich gewählt. Die Kostümbildnerin Sibylle Wallum wollte die Figuren „wie aus der Zeit gefallen“ wirken lassen. Die senffarbenen und bräunlichen Kostüme stehen in deutlichem Kontrast zur neonpinken Farbe des Bühnenbildes. Laut Wallum seien sie „eine Mischung aus historischen Zitaten, Anleihen an die 70er Jahre und verschiedenen Materialien“. Darüber waren wir zunächst überrascht, doch die Individualität der Kostüme und der damit verbundene Wiedererkennungswert gibt den Figuren einen ungewöhnlichen, aber trotzdem vertrauten Charakter. Marias Kostüm sticht aus der Inszenierung heraus, denn sie trägt einen fließenden, weißen Zweiteiler, der etwas ausgeblichen scheint. Die Farbe Weiß unterstreicht einmal mehr Marias Unschuld und sie wirkt auch deutlich jünger und attraktiver als ihre Rivalin. 

Auffallend ist, dass alle Schauspieler und Schauspielerinnen eine sehr helle Schminkmaske tragen. Dadurch entsteht der Eindruck, als seien sie allesamt sehr erschöpft und müde. Dieser kränkliche, schwächliche Ausdruck wird durch die geschminkten Augenringe zusätzlich verstärkt. 

Ein nicht zu vernachlässigendes Detail sind auch die übergroßen Pappmaché-Köpfe. Sie unterstreichen exzellent die Thematik von Schein und Sein. Immer wenn die Figuren etwas verheimlichen wollen, tragen sie große Pappmaché-Köpfe.  

Franziska Machens verkörpert in der Inszenierung Maria Stuart. Auf den ersten Blick sind ihre überdrehte Art, ihre exzentrische Gestik und die zahlreichen Grimassen befremdlich. Der Eindruck einer über sich selbst hinauswachsenden Gefangenen sowie das klassische Ideal der schönen Seele scheinen endgültig verloren. Wer aber ein mehr als 200 Jahre altes Drama ins 21. Jahrhundert übertragen will, der darf auch vom Original abweichen, um das heutige Publikum zu begeistern. 

Elisabeth, gespielt von Julia Windischbauer, bleibt dem im Drama angelegten Charakter treu. Dies wird besonders beim Höhepunkt der Tragödie, dem Duell der Königinnen, deutlich. Während des Aufeinandertreffens mit Maria lässt Elisabeth ihre Maske in Form des übergroßen Pappmaché-Kopfes fallen und offenbart hier ihr wahres Gesicht. Von Maria in die Ecke gedrängt und mit leiser Stimme wird die Schwäche der englischen Königin außerordentlich gut deutlich. Besonders durch die gegensätzliche Darstellung der Monarchinnen kann das Schauspiel überzeugen. 

Die Atmosphäre der Theateraufführung vor dem Bildschirm unterscheidet sich natürlich deutlich von einer Live-Aufführung im Theater.  

Wir müssen zugeben, dass das Stück auf einem Bildschirm eher wie ein Film wirkt, bei dem die Spannung durch die beleuchteten Kästen und die dramatische Musik erzeugt wird. Auch die Dimension des gigantischen Bühnenbildes lässt sich nur erahnen. Darüber hinaus fehlen der direkte Kontakt und Bezug zu den Schauspielern und Schauspielerinnen, der einen Theaterbesuch stets zu einem besonderen Erlebnis werden lassen. So fällt es viel schwerer, sich in die Figuren einzufühlen, mit ihnen zu leiden oder zu lachen. Auch die Vorfreude, etwas Neues mit vielen unbekannten Menschen zu erleben, die typisch heimelige Atmosphäre im Theater und der magische Moment, wenn das Licht verlöscht, bleiben beim digitalen Theater aus.  

Auf der anderen Seite ist der Stream jedoch eine gute Möglichkeit, die Inszenierung trotz geschlossener Theater und physical distancing einem großen Publikum zugänglich zu machen. Wir konnten das digitale Theatererlebnis genießen und der Schiller’sche „todte Buchstabe“ wurde auf diese Art und Weise definitiv zum Leben erweckt. Auch die praktischen Faktoren sind nicht zu vernachlässigen: Einzelne Szenen können mehrmals angeschaut werden, es besteht die Möglichkeit des Vor- und Zurückspulens und man ist zeitunabhängig. Außerdem ist es ein Vorteil, dass man sich das Stück überall anschauen und bei der Gerätewahl variieren kann. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass uns die Inszenierung des Deutschen Theaters ausgesprochen gut gefallen hat. Anne Lenk gelang es unter den widrigen Umständen, ein facettenreiches, fesselndes und auch berührendes Theaterstück auf die Bühne zu bringen. Das außergewöhnliche Bühnenbild, die interessanten Kostüme sowie die überzeugenden Leistungen der Schauspieler und Schauspielerinnen machen diese Inszenierung zu einem echten Erlebnis. Und wir waren dabei!!! 

(Leistungskurs Deutsch 11. Jahrgang, Kursleitung: Frau Benning)