Differentialgleichungen

Angenommen, man weiß (aus irgendwelchen theoretischen Vorüberlegungen) von einer Funktion f(t), dass sie die Differentialgleichung f'(t)=f(t) erfüllen muss und kennt ihren Anfangswert f(0)=1 und ist nun an dem Funktionswert f(T) zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt T>0 interessiert. Wie findet man diesen Funktionswert?

Dazu unterteilt man die Zeitachse von 0 bis T in n gleichgroße Teile. Seien also t_k=kh mit h=\frac{T}{n} für ein großes n und k=0,1,2,\ldots ,n

Lt. Anfangsbedingung ist f(t_0) = 1 bekannt. Die Differentialgleichung besagt nun, dass

    \[ f'(t) = \lim_{h\rightarrow 0}\frac{f(t+h)-f(t)}{h} =f(t) \]

Approximiert man in t = t_k den Differentialquotienten durch den Differenzenquotienten zwischen t_{k} und t_{k+1}, erhält man

    \[ \frac{f(t_{k+1})-f(t_k)}{h} \approx f(t_k) \]

und damit die Rekursionsgleichung

    \[ f(t_{k+1}) \approx f(t_k)(1+h) \]

Diese Gleichung besagt, dass man den Funktionswert zum nächsten Zeitpunkt t_{k+1} ungefähr voraussagen kann, wenn man den Funktionswert des aktuellen Zeitpunkts t_k kennt. Und den Funktionswert zum Anfangszeitpunkt t_0=0 kennen wir ja aus der Anfangsbedingung f(0)=1.
Also kann man bereits alle(!) Funktionswerte ermitteln – zumindest approximativ.

Man folgert leicht, dass f(t_k)\approx(1+h)^k sein muss. Nun ist h=\frac{T}{n} und es folgt

    \[ f(T)=f(t_n)\approx\left(1+\frac{T}{n}\right)^n \]

und je kleiner h, d.h. je größer n, desto exakter wird diese Näherungslösung, sodass ultimativ

    \[f(T)=\lim_{n\rightarrow \infty}\left(1+\frac{T}{n}\right)^n\]

sein wird. Diese Argumentation legt nahe, dass es nur eine Lösung der DGL f'=f gibt, wenn die Anfangsbedingung f(0) = 1 vorliegt.
Durch scharfes Hinsehen erkennt man natürlich sofort, dass f(t)=e^t ebenfalls Lösung ist.

Also hat man

    \[e^t=\lim_{n\rightarrow \infty}\left(1+\frac{t}{n}\right)^n\]

Die folgende Applikation zeigt die Exponentialfunktion (blau) und die approximierten Werte (rot). n kann durch den Schieberegler variiert werden.